Das Spruchverfahren im Aktien- und Umwandlungsrecht

Das Spruchverfahren soll betroffenen Aktionären die Möglichkeit geben, die ihnen im Rahmen einer Strukturmaßnahme angebotene Entschädigung gerichtlich auf ihre Angemessenheit überprüfen zu lassen.


18. Mai 2015

1. Das Verfahren

Das Spruchverfahren geht auf eine gesetzgeberische Entscheidung aus dem frühen 20. Jahrhundert zurück, um Bewertungsfragen von betroffenen Aktionären einer gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahme zu klären. Es sollte eine Trennung zwischen Bewertungsfragen (Spruchverfahren) und gerichtlicher Überprüfung der Strukturmaßnahme (Anfechtungsverfahren) erfolgen. Denn im Rahmen einer Angemessenheitsüberprüfung der Kompensationszahlung kann es zu langwierigen Prozessen kommen. Der getrennte Rechtsweg soll eine Blockade der Strukturmaßnahme verhindern, jedoch den belasteten Minderheitsaktionären durch das Spruchverfahren einen ausreichenden Individualschutz gewähren.

Im Jahr 2003 führte der Gesetzgeber dann das Spruchverfahrensgesetz (SpruchG) ein, um eine Beschleunigung des Verfahrens herbeizuführen.

2. Spruchverfahrensgesetz

Das Spruchverfahren findet gemäß § 1 SpruchG Anwendung für die Überprüfung der Angemessenheit

  • des Ausgleichs und der Abfindung für außenstehende Aktionäre bei Unternehmensverträgen (§§ 304, 305 AktG);
  • der Abfindung ausgeschiedener Aktionäre bei der Eingliederung der Gesellschaft (§ 320b AktG);
  • der Barabfindung von Minderheitsaktionären bei dem Squeeze-out (§§ 327a ff. AktG);
  • der Zuzahlung oder Barabfindung für Anteilsinhaber bei der Umwandlung der Gesellschaft (§§ 15, 34, 176 ff., 196, 212 UmwG).

Des Weiteren regelt das Gesetz u.a. den sog. gemeinsamen Vertreter (§ 6 SpruchG). Dieser wird vom Gericht für die Antragsberechtigten, die nicht selbst Antragsteller sind, als gemeinsamer Vertreter bestellt und hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters.

a. Unternehmensverträge (§§ 304, 305 AktG)

Unter Unternehmensverträge fallen hauptsächlich Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge („BGaV“), Betriebspachtverträge und Betriebsüberlassungs-verträge (§§ 291, 292 AktG). Die häufigste Form von Unternehmensverträgen sind BGaV, d.h. das herrschende Unternehmen schließt mit dem beherrschten Unternehmen einen Vertrag über die Abführung des Gewinns ab. Solche Unternehmensverträge benötigen eine Zustimmung der Hauptversammlung mit mindestens einer ¾-Mehrheit des vertretenen Grundkapitals. Nach dem Hauptversammlungsbeschluss legen von der Hauptaktionärin eingesetzte Parteiprüfer die Ausgleichszahlungen vertraglich für die Minderheitsaktionäre fest. Für den Fall der nicht vollständigen Beherrschung (100 % Grundkapital) des beherrschten Unternehmens wird der Vertrag sowie die Angemessenheit der Abfindung und des Ausgleichs durch Sachverständige gemäß § 293b AktG überprüft (von einem sog. Vertragsprüfer).

b. Eingliederung (§ 320 b AktG) und Umwandlung (§§ 15, 34, 176 ff., 196, 212 UmwG)

Die Hauptversammlung kann sowohl die Eingliederung in eine andere Gesellschaft als auch die Umwandlung der Gesellschaft beschließen. Dies ist möglich, sofern

  • die Hauptgesellschafterin Alleingesellschafterin der einzugliedernden Gesellschaft ist und die Hauptversammlung mit mindestens ¾-Mehrheit zustimmt,
  • die Hauptgesellschafterin 95 % an der einzugliedernden Gesellschaft hält und eine angemessene Abfindung gewährt wird, die in eigenen Aktien zu erfolgen hat.

Die Eingliederung ist vergleichbar mit der umwandlungsrechtlichen Verschmelzung mit dem Unterschied, dass die juristische Person der eingegliederten Gesellschaft weiter bestehen bleibt. Hingegen geht bei der Verschmelzung die einzugliedernde Gesellschaft in der aufnehmenden Gesellschaft auf.

 c. Squeeze-out (§§ 327a ff. AktG)

Der Squeeze-out (engl.: to  squeeze = pressen, zwingen, drücken) beinhaltet den zwangsweisen Ausschluss der Minderheitsaktionäre aus der Gesellschaft durch die Hauptaktionärin. Dabei werden drei Arten des Squeeze-out unterschieden,

  • der aktienrechtliche Squeeze-out (§§ 327 a – 327 f AktG),
  • der verschmelzungsrechtliche Squeeze-out (§ 62 V UmwG i. V. m. § 327 a – § 327 f AktG)
  • und der übernahmerechtliche Squeeze-out (§§ 39 a – c WpÜG = Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz).

Voraussetzung für einen Squeeze-out ist, dass die Hauptaktionärin einen Stimmrechtsanteil am Grundkapital der Gesellschaft in Höhe von mindestens 95 % besitzt (im verschmelzungsrechtlichen Spezialfall reichen 90 % aus). Dann kann die Hauptaktionärin eine Übertragung aller übrigen Aktien auf sich beschließen. Im Gegenzug hat die Hauptaktionärin eine angemessene Abfindung an die Minderheitsaktionäre zu zahlen. Beim aktienrechtlichen und verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out bedarf es dazu eines Hauptversammlungsbeschlusses, der mit mindestens einer ¾-Mehrheit des vertretenen Grundkapitals beschlossen wird. Beim übernahmerechtlichen Squeeze-out ist hingegen kein Hauptversammlungsbeschluss und auch kein Spruchverfahren erforderlich; stattdessen wird auf Antrag der Hauptaktionärin vom Landgericht Frankfurt am Main bzw. im Rahmen der Beschwerdeinstanz vom zuständigen Oberlandesgericht Frankfurt am Main der Squeeze-out (einschließlich der angebotenen Barabfindung) gerichtlich geprüft und gegebenenfalls angeordnet.

3. Überlegung zur Beschleunigung des Spruchverfahrens

Nach Vorschlägen des Handelsrechtsausschusses des Anwaltsvereins sollen Gesetze, die das Spruchverfahren betreffen, neu geregelt werden. Dies solle dem Zweck einer weiteren Verfahrensbeschleunigung dienen. Hierzu solle es künftig nur noch eine Instanz im Spruchverfahren geben (sofortige und einzige Zuständigkeit der Oberlandesgerichte).

Die Idee der Verfahrensbeschleunigung ist an sich zu begrüßen. Allerdings würden die zu deren Umsetzung vom Handelsrechtsausschuss vorgeschlagenen Mittel zu einer weiteren Ungleichbehandlung der Minderheitsaktionäre führen.

Die Minderheitsaktionäre sind nach deutschem Aktienrecht grundsätzlich verpflichtet, eine von der Aktionärsmehrheit veranlasste Strukturmaßnahme hinzunehmen. Es gilt das Prinzip „dulde und liquidiere“. Allerdings haben die Minderheitsaktionäre Anspruch auf eine volle Entschädigung. Das Spruchverfahren soll den belasteten Aktionären im Rahmen ihrer grundrechtlich geschützten Aktionärsstellung (Art. 14 Abs. 1 GG) ihre Rechte garantieren. Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber den von der Strukturmaßnahme betroffenen Minderheitsaktionären eine vollumfängliche Überprüfung der Angemessenheit der ihnen zustehenden Entschädigung bieten möchte.

Dieses gesetzgeberische Ziel wird jedoch in Frage gestellt, wenn hinter dem Argument der Verfahrensbeschleunigung die Kontrolldichte zu Lasten der Minderheitsaktionäre reduziert wird. Die Landgerichte (d.h. die vorgeschlagene abzuschaffende Instanz) haben gerade in jüngster Zeit ein effektives Verfahren und den Einsatz ihrer durchführbaren Beschleunigungsmöglichkeiten bewiesen und das Spruchverfahren vorangetrieben. Zudem sind die Kammern für Handelssachen der Landgerichte spezialisiert auf die Durchführung und den Umgang mit komplexen Spruchverfahren; die Handelsrichter bringen hier insbesondere im Rahmen der Befragung von Sachverständigen ihre wirtschaftliche Expertise ein.

Die Abschaffung eines Instanzenzugs, wie vom Handelsrechtsausschuss vorgeschlagen, ist deshalb ungeeignet und unsachgemäß; das Ziel einer effektiven sowie für alle betroffenen Parteien gerechten Verfahrensbeschleunigung würde damit sicher nicht herbeigeführt.

Es sollten vielmehr die Regelungsvorschläge der Bundesrechtsanwaltskammer beachtet, diskutiert und herangezogen werden wie:

  • zeitliche Vorgabe des Spruchgerichts an den gerichtlichen Sachverständigen zur Fertigung seines Gutachtens und Implementierung von Mitwirkungspflichten der Antragsgegnerin (z.B. im Hinblick auf die Zurverfügungstellung bewertungsrelevanter Informationen und Unterlagen)
  • Implementierung eines unabhängigen gerichtlichen Sachverständigen im laufenden Spruchverfahren ohne Beteiligung der Abfindungsschuldnerin
  • Abschaffung des Abhilfeverfahrens (§ 68 I FamFG) vor dem Landgericht, so dass im Falle der Beschwerdeeinlegung keine Abhilfeentscheidung abgewartet werden muss